Müsste man das Alter unserer Kanzel erraten, wäre das wohl eine schwierige Aufgabe. Die Antwort lautet: sie ist knapp 350-jährig.
Um 1660 fand in und um die Kirche von Neuenegg ein grosser Erweiterungsschritt statt. Damals entstand die Kirchmauer um den alten (vor einigen Jahren aufgehobenen) Friedhof. Am Eingangsbogen auf
der Unterseite der Mauer finden wir noch die Jahrzahl 1657 (ev. 1654). Ebenfalls in dieser Zeit wurde das Kirchengewölbe über dem Schiff erneuert und das bis heute bestehende halbrunde
Tonnengewölbe eingebaut – der Dachstuhl über dem Schiff trägt die Jahrzahl 1668. Vermutlich erhielt die Kirche damals auch die Portlaube, denn in den Chorgerichtssitzungen der folgenden Jahre
wird sie mehrmals erwähnt, vorher nicht.
In der Zeit dieser Erneuerung wurde auch die Kanzel geschaffen, ein Meisterwerk der Holzschnittkunst. Bis um ca. 1900 war auf einem der Rechtecke unten an der Kanzel noch die Jahrzahl der
Entstehung aufgemalt, nämlich 1660, möglicherweise auch 1662 oder 1668 (gemäss Dr. H. Michel im Achetringeler von 1961). Die ungefähre Entstehungszeit wissen wir also, über den Kunsthandwerker,
der sie schuf, wissen wir eigentlich nichts seriöses, ausser der Legende, dass er von Brienz gekommen sein soll. Eines hingegen ist gewiss, dass der gleiche Meister auch in Laupen tätig war und
die dortige Kanzel auch seiner Kunst zu verdanken ist. Ein Vergleich der beiden Kanzeln zeigt das deutlich, bis in die Details der einzelnen Zier-Ornamente hinein. Stilmässig ist sein Werk mit
den klaren, massvollen Konturen noch der Spät-Renaissance zuzuordnen.
Ein schöner Gedanke ist es auch, dass er für die Kanzel Holz von einer der vielen Eichen genommen haben könnte, wie sie früher im Forst oben noch viel häufiger waren. Auf jeden Fall ist es dem
harten und zeitbeständigen Eichenholz zu verdanken, dass die Kanzel nach fast 350 Jahren immer noch frisch und kraftvoll wirkt.